Professor Sahin Albayrak begrüßt, dass Verkehrsminister Volker Wissing Deutschland zum Weltmarktführer autonomer Mobilität machen will. Dazu brauche es allerdings politische Priorisierung, vernetzte Genehmigungsstrukturen, einen Infrastruktur-Boost und verstärkte Kooperation von Industrie und Forschung.
Beim Kongress Europe 2022 hat Verkehrsminister Volker Wissing angekündigt, Deutschland zum Weltmarktführer beim autonomen Fahren zu machen. Gut, dass Verkehrsminister Wissing dieses Zukunftsthema in Deutschland auf die Agenda bringt. So wird Wissenschaft und Wirtschaft eine klare Richtung vorgegeben.
Er muss jetzt im Lead bleiben. Die Politik muss den Pilotprojekten auf den Teststrecken freie Fahrt geben. Nur dann kann die Bundesregierung ihr Ziel erreichen. Es braucht die notwendigen politischen Schritte – und zwar schnell, denn Deutschland muss aufholen. Auch Industrie und Wissenschaft sind gefragt. Das Rennen ist kein Zweikampf zwischen den USA und China – Deutschland kann noch aufholen. So kann es noch gelingen:
- Wir müssen autonomes Fahren als nationale Aufgabe verstehen. Denn es braucht mehr als die führende Rolle des Verkehrsministeriums, es braucht Forschungs- und Wirtschaftsministerium, Länder und Kommunen. Neben der Energiewende im Verkehrssektor braucht es eine autonome Mobilitätswende, die mit der gleichen politischen Kraftanstrengung vorangebracht wird.
Wirtschafts- und Forschungsförderung müssen sich dafür stärker am Wissenschaftstransfer von der Forschung zur Industrie orientieren. Autonome Verkehrsmittel sollen im gesamten Straßenverkehr fahren können, nicht nur auf Autobahnen, sondern auch im hochkomplexen Stadtverkehr. Dafür sind die Landesregierungen und Kommunen zuständig. Nur mit der politisch notwendigen Priorisierung aller Ebenen kommen wir hier voran und können Hürden bei der Erprobung im Straßenverkehr abbauen.
- Dafür brauchen wir die digitale Infrastruktur. Hoffen wir, dass die angekündigte Gigabit-Strategie hier die notwendigen Digitalen PS auf die Straße bringt, gerade in der Fläche. Bei der Entwicklung autonomer Autos kommt es darauf an, die Fahrzeuge zu testen, indem digitalisierte Reallabore im regulären Verkehr entwickelt werden, große Flotten mit verschiedenen Fahrzeugträgern fahren, Daten gesammelt werden und die intelligenten Systeme lernen können. Dabei müssen Sensoren, Strecken und jedes Fahrzeug einzeln zugelassen werden.
Wer mit Verwaltungen arbeitet, der weiß: Wenn es politischen Druck in der Verwaltung gibt, dann geht viel und es geht schnell – ohne muss man warten. Hier kommt es nicht unmittelbar auf Bundesministerien an, hier brauchen wir die Unterstützung von kommunalen Entscheidungsträgern, Bezirksregierungen, Landräten. Aber mit der Priorität der gesamten Bundesregierung im Rücken, wirkt sich das auch auf die Geschwindigkeit lokaler Zulassungsprozesse aus.
Das Bundesverkehrsministerium fördert 73 Projekte zu autonomer Mobilität in Deutschland. Wenn sich Behörden und Zulassungsstellen über Best-Practices und sicher getestete Technologien austauschen, könnten viele Zulassungen schneller, unkomplizierter und sicherer erteilt werden. Zu oft werden Pilotprojekte und Teststrecken noch ausgebremst, weil die Beharrungskräfte stärker sind als der Mut, Deutschland bei der vernetzten intelligenten autonomen Mobilität voranzubringen.
- Wir müssen neue Partnerschaften schließen. Die Mobilitätsindustrie und die Forschung zu autonomer Mobilität sowie Künstlicher Intelligenz müssen enger zusammenarbeiten. Erst seit einigen Jahren intensivieren sich die Kooperationen und wir brauchen Organisationen, welche die Entstehung neuer Ökosysteme fördern. Dabei müssen wir Start-ups, Softwareunternehmen, Städte und Kommunen einbinden.
Mit erlebbaren KI-Anwendungen können wir die Industrie inspirieren, neue Geschäftsmodelle zu erschließen und wirtschaftliches Wachstum schaffen. Für einen Einblick in die datengetriebene Mobilität der Zukunft kann ich als ein gutes Beispiel auf den Mobility Data Space verweisen. Hier wird gezeigt: Autonome Mobilität fängt sehr viel früher an als beim vollautonomen Auto. Es sind bereits bekannte Einparkassistenten, autonome Lieferroboter oder ein autonomes Valet-Parken, die einen großen gesellschaftlichen Mehrwert bringen.
- Als Forscher sehe ich die Wissenschaft in einer Doppelrolle: Sie sollte Wissen zur technischen Entwicklung beitragen, erklären und erlebbar machen. Wenn wir autonome Autos in Reallaboren bauen, in denen Passanten als Passagiere mitfahren können, dann machen wir erfahrbar, wie die Mobilität von morgen und übermorgen aussehen kann. Damit schaffen wir ein Schaufenster in die Zukunft. Wie wichtig Wissenschaftskommunikation bei autonomer Mobilität ist, wird sich zeigen, wenn autonome Autos eine fortgeschrittene Marktreife erreichen.
Denn noch 51 Prozent der Deutschen besorgt autonomes Fahren. Obwohl die meisten Unfälle mit Personenschaden durch Fahrfehler verursacht werden, nicht aufgrund technischer Mängel. Wenn wir diese Skepsis nicht ausräumen können, kommt auch die politische Förderung an ihre Grenzen. Denn wir werden nur dann zum Weltmarktführer der autonomen Mobilität, wenn es eine Nachfrage bei den Kunden gibt. Als Wissenschaftler müssen wir die Vorteile erklären, autonome Mobilität ist kein Selbstzweck. Es wird sicherer und bequemer sein, wir werden wohl weniger Autos brauchen und perspektivisch weniger Geld für Mobilität zahlen müssen.
Die Wege zur Weltspitze beim autonomen Fahren führt also über mehr politische Priorisierung und vernetzte Genehmigungsstrukturen, einem Infrastruktur-Boost sowie verstärkter Kooperation von Industrie und Forschung. Am Ende kommt es aber auf die Menschen in Deutschland an, ob sie autonome Mobilitätsangebote nutzen werden. Es gilt sie zu überzeugen – und es gibt gute Argumente.
Prof. Dr. Dr. h.c. Sahin Albayrak ist Konsortialleiter des Projekts BeIntelli, einem Projekt zum autonomen Fahren, welches vom BMDV gefördert wird.