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Roboter im Einsatz am Flughafen Tokia-Haneda. Foto: SuFlyer Lizenz: CC0

Der lange Weg zur Künstlichen Intelligenz

Was als Künstliche Intelligenz gilt, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Vieles, was heute zu unserem Alltag gehört, war früher undenkbar. Und doch liegt vor den Forschern noch ein weiter Weg.

Er war einer der wichtigsten Computerpioniere und trug maßgeblich dazu bei, dass die Briten und nicht Nazideutschland den zweiten Weltkrieg gewannen: Alan Turing. Turing entwickelte mathematische Modelle, die halfen, den Code der deutschen Chiffriermaschine Enigma zu knacken und gilt als einer der frühen Theoretiker dessen, was einmal die Informatik werden sollte. Auch über Künstliche Intelligenz machte sich Turing schon früh Gedanken. Er entwickelte 1950 einen Test, der später nach ihm benannt wurde: Den Turing Test. Gelingt es in dem einem Computer einen Menschen davon zu überzeugen, mit einem Artgenossen zu sprechen, gilt er als bestanden. Im Juni 2014 war es soweit. Die University of Reading meldete: „Der ikonische 65-jährige Turing-Test wurde zum allerersten Mal vom Computerprogramm Eugene Goostman während des Turing-Tests 2014 bestanden, der am Samstag in der renommierten Royal Society in London stattfand.“ Der Spiegel nannte das Ergebnis des Tests einen „Meilenstein“. Gut 60 Jahre vorher wären wahrscheinlich die meisten Experten der Ansicht gewesen, dass nun der Moment gekommen sei, an dem man Computer als intelligent bezeichnen könne.

Es gab noch andere solcher Wegmarken: 1957 war für Herbert Simon klar, dass es ein großer Schritt bei der Entwicklung der künstlichen Intelligenz sei, wenn ein Computer Schachweltmeister werden sollte. Er sagte das für das Jahr 1967 voraus und lag mehr als knapp daneben. Aber 1996 passierte es dann doch. Der von IBM entwickelte Computer Deep Blue schlug den damaligen Schachweltmeister Garri Kasparow. 2017 lernte ein Rechner auf dem die von Google entwickelte KI-Software DeepMind lief innerhalb von vier Stunden Schach. Später erreichte die weiterentwickelte KI Dimensionen, die Menschen bis dahin verschlossen blieben. Und auch bei einem anderen Spiel geriert der Mensch ins Hintertreffen: 2019 gab der 18fache Go-Weltmeister Lee Sedol auf, gegen Computer anzutreten. Sie seien bei dem komplexen Spiel Menschen überlegen.

KI-Systeme sind keine Blackbox mehr, sondern können sich erklären, was zu mehr Akzeptanz der Technologie führt, denn die Entscheidungen können nachvollzogen werden.
Künstliche Intelligenz erreicht heute nahezu die Qualität professioneller Übersetzer. Navigationssysteme leiten Autofahrer durch den Verkehr und Computerspieler treffen zunehmend auf mit KI ausgestattete Gegner. Und klar, Bilder malen und Musik komponieren können Computer auch. KI kommt beim autonomen Fahren und der Steuerung von Drohnen zum Einsatz. Sie schlägt bei Kommunikationssystemen eine Brücke zwischen Mensch und Maschine, verbessert das Erkennen von Krankheiten und hilft Energie effizient zu nutzen und zu sparen.

Damit Computer Intelligenz auch nur simulieren können, braucht es technische Voraussetzungen, die bis vor wenigen Jahren nicht vorhanden waren: Leistungsstarke Prozessoren, die in der Lage sind, zum Teil Milliarden von Vergleichen vorzunehmen und genug Speicherplatz für große Datenbanken, auf die zurückgegriffen werden kann. Dazu kommt eine spezialisierte Software, die Computer erst gezielt trainiert, um sie dann in die Lage zu versetzen, selbstständig zu lernen.

Künstliche Intelligenz ist ein Oberbegriff und ihn zu erfassen wird nicht dadurch einfacher, dass er vieles, was schon längst zu unserem Alltag gehört ebenso beschreibt wie Kommendes, dass heute noch schwer vorstellbar ist. Der amerikanische KI-Forscher Arend Hintze beschrieb 2016 treffend vier Arten der Künstlichen Intelligenz: Die erste sind reaktive Maschinen wie Schachprogramme, die weder eine Erinnerung noch eine Vorstellung von der Zukunft haben, aber auf einen großen Wissensschatz zurückgreifen und schnell auf Herausforderungen wie Schachzüge reagieren können. Die Programme, die heute autonome Fahrzeuge steuern, sind da schon weiter: Sie beobachten zum Beispiel andere Autos, analysieren Verkehrsdaten und nutzen diese Informationen zur sicheren Steuerung durch den Verkehr. Der nächste Schritt, und von dem sind wir noch weit entfernt, sind Computer die aus Erfahrungen lernen und ein Verständnis von der Welt haben. Sie könnten, um bei der Steuerung autonomer Fahrzeuge zu bleiben, zum Beispiel wissen, dass es nach einem gewonnenen Endspiel der Fußballweltmeisterschaft zu Autokorsos kommen kann. Und dass diese Autokorsos in Berlin größer ausfallen werden, wenn Deutschland Weltmeister geworden ist als wenn Italien den Pokal holt.

In der vierten Stufe der künstlichen Intelligenz entwickeln Computer dann ein Bewusstsein, haben Gefühle und Wünsche und werden, das ist zumindest Hintzes spannender Ansatz, wie Menschen den Regeln der Evolution folgen. Wobei heute noch unklar ist, wie diese Regeln sich konkret auf Maschinen auswirken.

Aber die starke KI, die nicht auf bestimmte Einsatzbereiche festgelegt ist und in ihren Fähigkeiten denen des Menschen nahekommt, ist weiterhin ein Thema, das Informatiker, aber auch Schriftsteller und andere Intellektuelle bewegt. Ist eine starke KI überhaupt möglich und wenn ja, was würde passieren, wenn es erst einmal eine solche starke KI gäbe? Der 2019 verstorbene Informatiker Nils Nilsson schätzte, dass es mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent 2100 so weit sein könnte. Wenn dieses Ziel erreicht wäre, würde es nicht mehr lange dauern, bis Computer intelligenter wären als Menschen. Schon vorher allerdings werden sie den Menschen in einzelnen Bereichen weit überholen, werden sicherer Auto fahren als menschliche Fahrer oder Fahrerinnen, jeden gesagten Satz in Echtzeit in alle Sprache übersetzen können und mathematische Beweise erbringen, an denen Menschen bislang scheiterten.

Auch wenn eine starke KI noch nicht vor der Tür steht – und es bestimmt wieder viele mehr oder weniger gute Gründe gefunden werden, warum man sie dann doch nicht wirklich als intelligent bezeichnen wird, sollte die Menschheit beginnen sich damit zu beschäftigen, was es bedeutet, wenn es eine zweite Intelligenz auf diesem Planeten gibt, die sich mindestens auf Augenhöhe zu ihr bewegt. Werden solche Maschinen nicht nur intelligent sein, sondern vielleicht sogar Gefühle haben? Darf man sie einfach ausschalten? Und wie werden sie sich verhalten, wenn sie die Menschheit als unterlegen wahrnehmen? Welche Regeln müssen wir entwickeln? Wie diskriminierend kann KI sein? Wie ökologisch muss die IT der Zukunft sein? Wie viel Offenheit wird nötig sein? Die Menschheit wird diesen Fragen wahrscheinlich stellen müssen.