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Zulieferer müssen neue Geschäftsmodelle finden

Die Autoindustrie ist die wichtigste Branche Deutschlands. 780.000 Menschen waren Ende 2021 damit beschäftigt, Kraftfahrzeuge und all ihre Bestandteile zu entwickeln und herzustellen. Viele der Beschäftigten arbeiten nicht bei den großen Automobilherstellern wie VW, Mercedes oder BMW, sondern für ebenfalls international erfolgreiche Zulieferer wie Bosch, Continental oder Mahle. Hinter diesen bekannten Marken stehen dann Tausende mittelständische Unternehmen, die einzelne Komponenten wie Teile von Schließsystemen, Spezialdrähte oder Schrauben produzieren. Die meisten von ihnen sind Mittelständler, die sogenannten „Hidden Champions“, die international erfolgreich und doch jenseits der Fachöffentlichkeit unbekannt sind. Die Mischung aus global aktiven Herstellern und Zulieferern ist eines der Erfolgsgeheimnisse der deutschen Exportwirtschaft, die nach wie vor die Grundlage des Wohlstandes erarbeitet. Und sie ist gefährdet. Eine Studie des ifo-Instituts im Auftrag des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) kam im Mai vergangenen Jahres zu dem Schluss, dass durch die zunehmende Umstellung der Produktion auf Elektroautos die Zahl der Arbeitsplätze in der Branche bis 2025 um 178.000 zurückgehen wird. Bis 2030 könnten es dann sogar 215.000 Arbeitsplätze, mehr als 20 Prozent, sein. Am stärksten betroffen sein von dieser Entwicklung werden die großen Automobilstandorte in Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg sein, es wird für die Zulieferer härter als für die Hersteller.

Der Abbau von Arbeitsplätzen, sogar das Aus einiger Betriebe wird nicht vermeidbar sein. Ein Verbrennungsmotor besteht mit Getriebe um die 1.400, ein Elektromotor mit Batterien nur aus rund 200 Teilen.

Dazu kommen Fortschritte in der Produktion: Um ein Auto zu bauen, werden immer weniger Menschen benötigt. Mit der Factory 56 am Standort Sindelfingen hat Mercedes das Konzept einer „smarten Fabrik“ umgesetzt: Maschinen, Anlagen, Fahrzeuge und die Mitarbeiter sind vernetzt, die Produktion ist hochgradig flexibel und die Produktivität um 25 Prozent höher als in den anderen Fabriken des Herstellers – die allerdings auch schon zu den modernsten der Branche gehören.

Doch der technische Wandel ist nicht die einzige Herausforderung, vor der die Automobilindustrie steht: Wie in Deutschland setzte die Politik in nahezu allen entwickelten Ländern darauf, die Zahl der Autos auf den Straßen, vor allem in den Großstädten, zu reduzieren.

Die Vorzeigebranche Deutschland steht also vor einem Umbruch und es ist klar, dass er schmerzhaft sein wird. Aber er bietet auch Chancen.

Zulieferer wie Continental oder Bosch mit großen eigenen Forschungsabteilungen haben sich an die Spitze der Entwicklung gesetzt:

Bosch unterstützt die Automobilhersteller beim Umstieg auf die Elektromobilität und bietet zudem zahlreiche selbstentwickelte digitale Komponenten wie Falschfahrerwarnung, Smart-Key-Systeme und ein Secure Truck Parking für LKW an.

Continental hat intelligente Reifen entwickelt, die sich zum Beispiel während der Fahrt für das einzelne Fahrzeug oder die ganze Flotte überwachen lassen.

Die großen Automobilhersteller tun sich nicht immer leicht bei der Digitalisierung ihrer Produkte. Bei ihrem verständlichen Bestreben, sich nicht von IT-Unternehmen wie Apple oder Alphabet abhängig zu machen, könnte es ihnen leichter fallen, mit Zulieferern zusammen zu arbeiten, mit denen sie schon seit Jahrzehnten enge Beziehungen haben. Elektromobilität und Digitalisierung bieten so zumindest einigen Zuliefern die Chance, die Hersteller noch enger an sich zu binden. Damit dies gelingt, müssen Zulieferer schneller Lösungen anbieten als ihre Kunden sie selbst entwickeln

Die Digitalisierung bietet aber auch für neue Unternehmen eine Chance, in den Kreis die Zulieferer der Automobilindustrie aufgenommen zu werden: Autos sind heute schon rollende Tablets und sie brauchen Software. Wie bei Smartphones wird die nicht nur von den Herstellern kommen. Auch kleine Softwareunternehmen werden ihre Chance bekommen, wenn die Automobilkonzerne entdecken, dass ein vielfältiges und wertiges Angebot an digitalen Diensten ihre Fahrzeuge attraktiver macht.

Elektromobilität und autonomes Fahren werden dazu führen, dass auch neue Fahrzeugtypen entstehen. In unserem Projekt BeIntelli arbeitet das DAI-Labor der TU-Berlin nicht nur daran, Busse und SUVs das autonome Fahren beizubringen. Wir entwickeln ein Betriebssystem, das auch für kleine, autonom fahrende Lieferroboter eingesetzt werden kann, die künftig Lieferdienste übernehmen werden. Wer sagt, dass solche Fahrzeuge von den großen klassischen Automobilherstellern gebaut werden müssen? Es ist wahrscheinlich, dass ein vielfältiges Ökosystem von Lieferrobotern entsteht: Die Anforderungen an einen Roboter, der Getränkekisten transportiert, sind andere als an ein Modell, das heißes Essen wie Pizzen ausliefert.

Ein großes Potential für neue Geschäftsmodelle, die auch für die heutigen Zulieferer und Markteinsteiger interessant sind, ist die Vernetzung der verschiedenen Verkehrsträger. Vor allem auf dem Land bietet die Vernetzung vorhandener PKW mit Elektrobussen und autonomen Fahrzeugen viele Möglichkeiten. Die können nur mit intelligenten und attraktiven Softwarelösungen umgesetzt werden, die es heute noch nicht gibt. Aber ohne Lösungen für den ländlichen Raum wird die Verkehrswende scheitern. Hier eröffnen sich Chancen für Erfolge auf einem globalen Markt, denn Provinz gibt es überall und in ihr Leben Milliarden Menschen. Ja, die Automobilbranche wird sich ändern. Aber sie wird nicht zusammenbrechen. Alte Geschäftsmodelle werden untergehen, neue entstehen. Die Menschen werden auch in Zukunft mobil sein wollen und es wird Unternehmen geben, die Geld damit verdienen, ihnen diesen Wunsch zu erfüllen. Aber das werden sie ökologischer, vernetzter und intelligenter machen, als es in der Vergangenheit der Fall war. Daran ist nichts beängstigend, es ist der Kreislauf der Wirtschaft und es ist eine Chance.