Die Digitalisierung und die Umstellung auf elektrische Antriebe werden in den kommenden Jahren die Automobilindustrie radikal verändern. Soll die Schlüsselindustrie der Bundesrepublik überleben, müssen jetzt die Weichen gestellt werden.
Keine andere Erfindung hat Deutschland so sehr geprägt: Die Automobilindustrie ist mit 411 Milliarden Euro Umsatz und 786.000 Beschäftigten die wichtigste Schlüsselindustrie Deutschlands. Auch bei den Forschungsausgaben sind Unternehmen wie Bosch, VW und Mercedes Benz spitze.
Das Auto, wie wir es bis vor Kurzem kannten, unterschied sich trotz aller technischen Fortschritte im Kern wenig von Benz‘ Dreirad: Es war ein Fahrzeug mit einem Benzinmotor, das von Fahrenden gelenkt wurde.
In den vergangenen Jahrzehnten setzte dann eine Entwicklung ein, die das Auto grundlegend veränderte, auch wenn sich das die wenigsten bewusst machten: Lange bevor über autonomes Fahren gesprochen wurde, unterstützten Assistenzsysteme den Fahrer und entlasteten ihn: ABS, Einparkhilfen und Navi sind nur einige der technischen Innovationen.
Schnellere Chips, immer leistungsfähigere Software, der begonnene Wechsel vom Verbrennungs- zum Elektromotor, Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz werden in den kommenden Jahren das Auto und die Autoindustrie radikal verändern. Wissenschaft, Wirtschaft und Politik müssen jetzt schnell in einen Dialog treten. Es kann dabei nicht um die Frage gehen, wie Autohersteller und ihre Zulieferer diese Entwicklung überleben. Das wäre zu defensiv gedacht. Es muss darum gehen, dass die deutsche Automobilindustrie auch in den kommenden Jahren den weltweiten Wettbewerb dominiert und möglichst viele Arbeitsplätze zur Verfügung stellt – auch wenn sich die Arbeitsinhalte wandeln werden. Neue Geschäftsmodelle müssen erarbeitet werden.
Hersteller und Zulieferer kommen nicht daran vorbei, ihre traditionellen Geschäftsmodelle auf den Prüfstand zu stellen und sie weiterzuentwickeln. Das DAI-Labor der TU-Berlin hat zusammen mit Partnern wie Continental, MAN, dem ADAC und dem TÜV Nord das Projekt BeIntelli gestartet, welches vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr gefördert wird. Mit verschiedenen Fahrzeugtypen vom PKW bis zum Linienbus werden wir an der Entwicklung des autonomen Fahrens der Kategorie 4 arbeiten. Unsere Fahrzeuge werden sich am Ende autonom durch die Berliner Innenstadt bewegen. Ein Fahrer ist nur noch im Fahrzeug, um im Notfall eingreifen zu können.
Es wird noch mehrere Jahre dauern, bis diese Technologie ein fester Bestandteil unseres Alltags sein wird. Die Probleme, die gelöst werden müssen, sind groß. Auf uns wartet noch sehr viel Arbeit. Aber es ist klar, dass diese Probleme gelöst werden können. Wenn es so weit ist, wird sich das Auto radikal verändern: Es wird mit selbstfahrenden Autos deutlich weniger Unfälle geben. Die künstlichen Intelligenzen, die sie steuern werden, halten sich an die Verkehrsregeln, sind nie übermüdet, betrunken oder aggressiv. Kommt es zu Fehlern, werden die vernetzten Fahrzeuge voneinander lernen.
Die meisten Menschen werden wahrscheinlich solche Autos nicht mehr besitzen, sie werden sie nutzen wie heute ridesharing wie blablacar oder carsharing wie Car2Go. Nur ohne Fahrer und Lenkrad. Diese Fahrzeuge werden einen Elektromotor haben. Für die Autoindustrie entstehen damit neue Ertragsmöglichkeiten: Sie wird zwar weniger Autos verkaufen, aber dafür vielleicht verstärkt in das Geschäft von Kurzzeitvermietungen einsteigen. Sie wird viel in Software investieren und sich Gedanken machen müssen, wie man dem Kunden ermöglicht, seine Fahrzeit möglichst angenehm oder produktiv zu gestalten. Das Interieur des Innenraums wird an Bedeutung gewinnen, wenn der Blick nicht mehr auf die Straße gerichtet sein muss.
Das digitale und elektrische Auto der Zukunft wird deutlich weniger Teile benötigen. Kupplungen, Einspritzsysteme und Auspuffanlagen wird es nicht mehr geben. „Ein Auto mit Verbrennungsmotor hat am Antriebsstrang Tausende Teile, ein E-Auto nur Hunderte – wir sprechen da vom Faktor zehn zu eins“ wissen die Experten vom ADAC. Viel eher werden Sensorik und Aktorik verbaut werden. Automobilhersteller werden zunehmend von Unternehmen welche Hardware produzieren, zu Softwareproduzenten.
Das wird unweigerlich zu Veränderungen bei den Arbeitsplätzen bei Zulieferern führen, aber auch die Beschäftigten der Hersteller treffen: Ein Fahrzeug mit weniger Teilen lässt sich schneller montieren. Viel Wissen, das sich in weit über hundert Jahren Entwicklungsgeschichte erworben wurde, wird abgewertet. Neues Wissen über machine learning und künstliche Intelligenz, insbesondere enforced learning, wird immer wichtiger. Das ist keine Tragödie, es ist schlicht der Lauf der technischen Entwicklung. Diese kann auch niemand mehr aufhalten.
Was also die Fahrzeuge an der Komplexität der Hardware verlieren, gewinnen sie im Bereich der Software: Das Auto der Zukunft wird eine fahrende Kommunikationseinheit sein: Es wird in Kontakt zu anderen Fahrzeugen stehen, von ihnen Informationen zum Beispiel über den Zustand der Straßen erhalten, den Verkehr und das Wetter analysieren. Es wird „um die Ecke gucken“ können, indem Informationen über sensible Verkehrssituationen, wie ein Kind, welches einem Ball auf der Straße hinterherläuft, frühzeitig anderen Autos mitgeteilt werden können, die in den nächsten Sekunden dort vorbeikommen. So werden Kinder und andere Verkehrsteilnehmer besser geschützt.
Es wird aber auch in Dialog mit den Passagieren treten, sie bei Bedarf informieren, unterhalten oder vielleicht auch einfach nur kurz vor der Zielankunft wecken.
Und es wird ihnen Dienste anbieten, die zu einer wichtigen Grundlage künftiger Geschäftsmodelle der Autoindustrie werden. Apple macht einen immer größeren Teil seines Umsatzes nicht mehr mit dem Verkauf von Computern und Smartphones, sondern mit Musik-, Film- und Cloud-Diensten.
Wie heute das Smartphone oder der Computer wird auch das Auto künftig das Zentrum eines digitalen Marktplatzes sein, der den Kunden ständig neue Dienstleitungen und Produkte anbietet.
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BeIntelli ist ein vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr gefördertes Forschungsprojekt.